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Lebensbund mit drei Buchstaben

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Liebe Lore,

erinnerst du dich, dass ich dir neulich von Magnus‘ Elternhaus erzählt habe, in dem seine Mutter bis vor kurzem gewohnt hat? Um deinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen: Das Haus steht im Hamburger Stadtteil Harvestehude und sollte eigentlich verkauft werden, da die alte Dame in eine Seniorenresidenz gezogen ist. Doch vom Verkaufen ist auf einmal keine Rede mehr, und der Grund bin ich.

Ja, stell dir vor, Magnus‘ Mutter hat irgendwie einen Narren an mir gefressen. Und ich mag sie auch sehr gern. Jedenfalls hat sie vorgeschlagen, dass Magnus und ich in ihr Haus ziehen. Die Lady denkt ganz modern. Sie weiß, dass wir beide Individualisten sind und somit jeder von uns mindestens mal ein Zimmer für sich allein braucht.

Das Haus aus rotem Backstein hat einen idealen Grundriss: Unten gibt es ein großes Wohnzimmer, eine große Küche und eine Gästetoilette, im ersten Stock zwei Zimmer und ein Bad und im Dachgeschoss auch zwei Zimmer mit Bad. In diese Dachetage habe ich mich sofort verliebt. Da will ich mein Reich einrichten! Und Magnus kann in seiner Etage sein Zeug rumliegen lassen so viel er will.

Wir waren schon eine ganze Weile auf der Suche gewesen. Bisher habe ich bei Magnus gewohnt, und meine Möbel lagern noch in der Garage eines Bekannten. Eigentlich könnte ich mir Harvestehude ja überhaupt nicht leisten, aber die Miete, die wir an Magnus‘ Mutter überweisen werden, liegt am unteren Rand dessen, was hier üblich ist. Im Geiste habe ich schon angefangen, meinen Schreibtisch unter das große Fenster zu stellen und meine Bücherregale aufzubauen. Es ist ein Gefühl, als würde ich bald nach Hause kommen.

Jetzt überlegst du wahrscheinlich, wie das mit Magnus und mir weitergehen wird. Und ob wir womöglich eines Tages in den Hafen der Ehe einlaufen werden. Was mich betrifft, mir reicht es im Moment, mit Magnus zusammenzuwohnen. Das finde ich wunderschön, und dafür brauche ich keinen Trauschein.

Wenn ich es mir recht überlege, kenne ich eigentlich keine langjährig glücklichen Ehepaare. Das einzige Beispiel, das mir einfällt, ist meine Freundin Gudrun in Frankfurt mit ihrem Mann Paul. Keine Ahnung, wie die das machen. Ansonsten sehe ich vor allem Ehepaare, die sich entweder schon getrennt haben, bei denen gerade der große Scheidungskrieg entbrannt ist oder wo es unter der Oberfläche bereits zu brodeln begonnen hat.

Als wir hier vor kurzem den Dachboden ausgeräumt und immer wieder Sachen zum Auto getragen haben, schaute uns ein kleines, vielleicht siebenjähriges Mädchen über den Gartenzaun hinweg zu. Ich kam mir ihr ins Gespräch, und sie erzählte mir freimütig: „Gestern hat die Mama den Papa endgültig rausgeschmissen.“ Ich habe es mir verkniffen, nachzufragen, was der Anlass für den Rausschmiss war, ob Papi womöglich eine Neue hat oder dergleichen. Kurz darauf kam die Mutter und holte ihre Tochter ins Haus, vermutlich, damit das Kind nicht noch mehr enthüllt.

Und dann denke ich daran, dass ich selber geschieden bin, Magnus ebenso und zahllose andere Leute aus meinem Bekanntenkreis auch. Ja, selbst Magnus‘ Mutter ist geschieden und hat ihre beiden Söhne allein großgezogen. Sie war früher Lehrerin und hat den Unterhalt für die Familie zum größten Teil allein bestritten.

Ich frage mich schon, ob wir als Gesellschaft nicht einer Lebensform anhaften, die sich schon längst überlebt hat. Fast jede zweite Ehe wird mittlerweile geschieden. Selbst Achtzigjährige haben bisweilen die Schnauze voll und schieben mit ihrem Rollator zum Scheidungsanwalt.

Aber alle träumen von der großen Liebe und der anschließenden Traumhochzeit und einem Leben auf rosaroten Wolken. In diese vorgestellte Idylle bricht dann nur zu bald der Alltag ein, und Mr. und Mrs. Right streiten sich darüber, dass er nie den Klodeckel zumacht und sie seine Sachen immer dahin räumt, wo er sie nicht mehr findet. Wenn Kinder da sind, beginnt der organisatorische Balanceakt, und spätestens dann hat sich der letzte Rest Romantik verflüchtigt.

Ich frage mich auch, ob es deshalb so viele Liebesfilme und Liebesromane gibt, weil wir wenigstens in der Phantasie unsere Träume verwirklichen wollen, oder ob unsere völlig überzogenen Träume durch Hollywood überhaupt erst entstanden sind.

Ich jedenfalls gedenke mir diesen ganzen Stress zu ersparen. Und sollte es Magnus eines Tages einfallen – was ich für komplett unwahrscheinlich halte –, vor mir niederzuknien, einen formvollendeten Heiratsantrag zu machen und einen funkelnden Ring zu präsentieren, kann ich mir immer noch überlegen, ob ich „Ja, ich will“ hauche oder mit nüchterner Stimme „Nein, geht gar nicht“ antworte.

Wie sieht es eigentlich bei Dir an der Männerfront aus?

Fragt neugierig, mit einer ganz lieben Umarmung,

Deine Hanne


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